Cliffhanger

Neuer Kunstverein Regensburg

1. Dezember 2022 - 15. Januar 2023

Hinein ins psychische Rückenmark

Cliffhanger: Eine Ausstellung mit Bildern von Johannes Felder im Neuen Kunstverein Regensburg

„Canyon West“ heißt eines von den Bildern des Nürnberger Malers Johannes Felder, die derzeit im Neuen Kunstverein
Regensburg ausgestellt sind – und wahre geräuschlose Plosive sind in ihren Rahmen, jauchzende Farbtrümmer,
gemalte Aggregatszustände, mal ein-, mal ausatmend. Wechselnd zwischen größeren und kleineren
Formaten, sind all diese Bilder Hintertüren mitten hinein ins psychische Rückenmark, da, wo die Organe des Gemüts
sitzen. Diese Bilder wirken mal schreihalsig, mal extraterrestrisch, mal introspektiv, mal abgehoben wie eine
lyrische Traumfahrt in Sphären jenseits des Sauerstoffs. Bei „Canyon West“ heißt das: Auf diesem Bild fährt eine
Landschaft aus sich selbst heraus wie die Wirkung des Urknalls.
Das Bild streckt uns seine Landzunge heraus. Die Geometrie in dieser – inneren – Landschaft hat keine eindeutig
fixierbare Linie, keinen Fix- oder Haltepunkt, sondern sie besteht aus einer permanenten gestischen Gestaltung.
Man sieht ein Gewirr und Geschwirr von Schwüngen und Wegen aus Farbe, die alle aus einem Fluchtpunkt
herausrauschen wie aus einem frisch angezapften Fass. Himmel, Berge, Land: All dies sind in solcher Landschaft
Explosion und Explosiönchen. Der Stilbegriff des „Informel“ wird offenbar gern auf Werke von Felder verwandt,
jene gestische Malerei der 1950er Jahre, in der das Bild aus sich selbst heraus entsteht: „Vage Erwartungen mögen
den Maler leiten, doch wohin der Bildprozess ihn führt, mag ihn selbst am meisten überraschen“, schreibt der
Fürther Kunsthistoriker Thomas Heyden zur Malerei Felders.
In diesem Bezugsfeld sind die Werke des Nürnberger Malers dennoch völlig unterschiedlich und charakterstark.
Komplett anders als „Canyon West“ ist da etwa ein Bild ohne Titel, das wirkt, als sei alle Knallerei hier vollends
vorbei; stattdessen ist da zu sehen eine Art Himmel in verschiedenen Blaustufen mit nur ein bisschen Wolkenweiß,
nur ein wenig Erdreichbraun. Das wirkt so, als sei sie überhaupt vorbei, die Zeit. Womöglich eine Art Erlösung.
Zwischen diesen Graden von Bewegung und Bewegungslosigkeit pendelt die Ausstellung „Cliffhanger“ im Neuen
Kunstverein. Der Titel leitet von einem Gemälde her, auf dem es pulst, zischt und wischt wie auf einer exaltierten
Bühne, und tatsächlich kann, wer möchte, rechts und links Bühnenvorhänge auf dem Bild erkennen. Und das
würde ja auch passen: Schließlich gilt der „Cliffhanger“ als Paradebeispiel für einen gehaltenen Spannungsbogen.
Hier, in der Ausstellung, wird er gehalten. Der kleinere Raum der Ausstellungsflächen am Schwanenplatz wird
dominiert vom Gemälde „Das Portal“, für das sogar die Wände teilweise umgestrichen wurden – um noch klarer
zu machen, dass hier eine Art Ausgang dräut. Da tauchen natürlich Fragen auf: Geht’s hier ins All hinaus – ist das
also vielleicht ein Wurmloch? Ist’s der Darm des Olymp? Eine Höhle hinein in eine Welt hinter den Spiegeln? Ist’s
der ersehnte Ausgang für Professor Otto Lidenbrock, der sich in Jules Vernes Roman „Reise zum Mittelpunkt der
Erde“ zwischendrin ein bisschen arg verlaufen hat? Und siehe da – wenn man sich derlei Fragen stellt, ist man
schon mittendrin im Portal, das einen noch dazu magisch anzieht, wenn man sich ihm langsam, Schritt für Schritt
nähert…

Text: Christian Muggenthaler, Regensburger Zeitung

Cliffhanger
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